Von zarten, sensitiven Klängen bis hin zu zerrenden, packenden Grooves – Lukas Kranzelbinder, der mit seinen Bands »Shake Stew« und »Interzone« international für Furore sorgt, gehört zu den erfolgreichsten Musikern der österreichischen Szene. Er wird das SWR NEWJazz Meeting 2018 kuratieren.
In seiner mehr als 50jährigen Geschichte hat das legendäre SWR NEWJazz Meeting schon einige Facetten erlebt. Diese aber noch nicht: Beim Klanglabor für improvisierte Musik wird zum ersten Mal ein Schriftsteller dabei sein. Der in Graz lebende Fiston Mwanza Mujila stammt aus der Demokratischen Republik Kongo, er hat für seinen Roman »Tram 83« euphorische Kritiken und zwei hochdotierte Literaturpreise erhalten. Ein Stern am Literaturhimmel, gewiss. Aber ein Akteur im Feld der improvisierten Musik?
Der Kurator Lukas Kranzelbinder, in Wien lebender Bassist und Komponist, erklärt: »Als ich Kritiken las, in denen stand, Fiston schreibe mit der Energie eines Jazzmusikers, seine Texte lesen sich wie die Soli von John Coltrane, habe ich kurz mit den Augen gerollt. Dann aber habe ich seinen Roman »Tram 83« gelesen und war wie weggeblasen.« Spontan nahm Kranzelbinder Kontakt auf. »Fiston ist ja nicht nur ein Schriftsteller, sondern er performt auch live und improvisiert sehr viel mit seinen eigenen Texten. Er ist auf der Bühne eine Naturgewalt«, sagt Kranzelbinder. »Fiston passt deshalb gut ins SWR NEWJazz Meeting, weil er diesen wahnsinnig schönen Spagat von der Jazzmusik hin zu Energien schafft, die noch viel größer sind als das ganze Genre.«
„On Boit Lumumba – Wir trinken Lumumba“ ist aber keine Jazz & Poetry-Veranstaltung, sondern ein Projekt in dem sieben Künsterlinnen und Künstler gleichwertig agieren.
Am Schlagzeug sitzt Dave Smith. Der Mitbegründer des Londoner Loop Collective tritt regelmäßig in großen Arenen auf. Seit einigen Jahren ist er festes Mitglied der Band von Robert Plant. Trotzdem hat er seinen Kontakt zur Londoner Underground-Szene nicht verloren. Er hat immer wieder Gambia bereist und dort die komplexen westafrikanischen Polyrhythmen studiert.
Als Kranzelbinder („der Bass-Senkrechtstarter“, SZ) mit der Band »Interzone« die marokkanische Stadt Tanger besuchte, lernte er die Musik der Gnawa kennen – spirituelle Heiler, Nachfahren westafrikanischer Sklaven, die eine groovebetonte Musik voller Magie machen. Kranzelbinder fing Feuer, tauchte tief ein in die Gnawa-Musik und versuchte so oft wie möglich von verschiedenen Meistern aus Marokko zu lernen. »Seitdem hat mich das Thema Afrika, die Musik und die Geschichte des Schwarzen Kontinents, nicht mehr losgelassen.«
Elementarer Bestandteil von Kranzelbinders multistilistischen Kompositionen ist die transformierende Kraft von Groove, Trance und Ekstase. Zur funkelnden Pracht seiner Musik gehören aber genauso die subtilen Energien von Poetik, Melodie und Stille. Für die klangliche Balance in diesem Projekt sorgt die in Wien lebende iranische Klarinettistin Mona Matbou-Riahi. »Sie ist eine unglaublich intensive, freundliche, fröhliche, energetische Persönlichkeit, die gleichzeitig mit Stille arbeiten und mit einer Feinheit musizieren kann, die umwerfend ist.«
Auch freut sich Kranzelbinder, dass Gregory Dargent, ein herausragender Oud-Spieler unserer Zeit, mit dabei ist. »Gregory passt perfekt zur Band, weil er in dem, was er tut, stark zwischen den Stühlen sitzt. Er wechselt in seinen Projekten zwischen diesem betörenden, warmen akustischen Oud-Klang und intensiven, noise-lastigen Gitarren-Klangflächen hin und her. Das ist ein Bereich, den ich sehr interessant finde.« Hinzu kommen mit dem Trompeter Mario Rom und dem Saxofonisten Johannes Schleiermacher zwei virtuose Improvisatoren, die dem aktuellen Jazz ein unverwechselbares Gesicht geben.
Das Rundfunkstudio als Klanglabor – man darf gespannt sein, welche ungewöhnlichen Wege diese sieben Musikerinnen und Musiker gehen werden, wenn sie sich beim 51. SWR NEWJazz Meeting auf eine energetisierende, neue Reise begeben.
Der Titel der Band „On boit Lumumba – wir trinken Lumumba“ weist auf ein Missverhältnis hin: Zum einen sind der Mensch Patrice Lumumba (erster kongolesischer Ministerpräsident und afrikanischer Freiheitskämpfer) und die damit verbundenen historischen Ereignisse bei uns weitgehend unbekannt. Sie spielen in Schulbüchern der westlichen Welt kaum eine Rolle. Gleichzeitig ist Lumumba seit vielen Jahren ein vor allem beim Aprés-Ski in den Alpen beliebter Drink aus Kakao, Milch und Rum. Ein Heißgetränk, das dort ganz selbstverständlich und in rauen Mengen getrunken wird.
„Ich war eher schockiert, wie wenig ich über die Geschichte Kongos und Patrice Lumumba wusste, bevor ich begonnen habe mich damit zu beschäftigen.“, sagt Kranzelbinder. „Gleichzeitig ist „Lumumba“ eines der populärsten Heißgetränke in unseren Hütten. Da steckt wirklich eine Absurdität drin, die wiederum eine Verbindung zu den Themen hat, die Fiston in seinen Texten und seinen Büchern behandelt. Denn da geht’s auch sehr oft um solche wirklich völlig absurde Zustände. Die aber nicht mit einer traurigen Schwere betrachtet werden, sondern mit einer übertriebenen, überspitzten Absurdität wie sie im Postkolonialismus teilweise vorkommt. Als ich Fiston den Titel gesagt habe, hat er erst mal gelacht.“
Von Günther Huesmann